Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft (IPA) – Unterrichtsmaterialien - page 70

4.7.I
„Die Hast ist zu groß“, Der Spiegel, 08.02.1956
Nachweis: DER SPIEGEL 6/1956. Vollständiger Abdruck in:
(...)
Obgleich der Gesetzentwurf zur Raumordnung mehr als ein Vierteljahr vor
der Regierungsnovelle über die Land-Enteignung für Militärzwecke einge-
bracht wurde, ist nun die Kabinettsvorlage – wie alle mit der Verteidigung
zusammenhängenden Gesetze – auf Drängen des Bundeskanzlers vorweg
beraten worden. Dabei wäre am Vorabend einer Landbeschaffung größten
Stils zum Zwecke der Verteidigung eine umfassende Raumordnung not-
wendiger denn je.
Artikel 1 des Raumordnungs-Gesetzentwurfes formuliert das so:
Die Raumordnung hat die Aufgabe, unter Berücksichtigung der gesamt-
deutschen Belange die bestmögliche allgemeine Entwicklung des Bundes-
gebiets ... im Hinblick auf die sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen
Gegebenheiten und Erfordernisse ... zu sichern.
Zu diesem Zweck sieht der Gesetzentwurf vor, daß ein interministerieller
Ausschuß gebildet wird, dem ein Beirat von Vertretern der Wissenschaft
und der beteiligten Verbände zur Seite steht und dem sämtliche Bundes-
behörden die von ihnen geplanten Raumordnungsvorhaben mitzuteilen
haben.
Angetrieben worden waren die 107 Antragssteller aller Parteien - vom CDU
-Fürsten Bismarck über den FDP-General Manteuffel bis zum SPD-Profes-
sor Gülich, vom "Deutschen Bauernverband" des Reichsministers außer
Diensten Hermes. Denn die Landwirtschaft wird zu allererst von der Errich-
tung militärischer, wirtschaftlicher und verkehrstechnischer Anlagen be-
troffen. Der jährliche Verlust landwirtschaftlicher Nutzfläche beträgt 36
000 Hektar, in Nordrhein-Westfalen allein 9000 Hektar. Das bedeutet, daß
täglich ein Bauernhof von 385 Morgen verschwindet. (…)
Geradezu sprunghaft aber dürfte der Verlust an landwirtschaftlicher Nutz-
fläche ansteigen, wenn künftig Land für Verteidigungszwecke ausschließlich
nach Prinzipien beschafft wird, über die allein das Bundesverteidigungs-
ministerium zu entscheiden hat. (...)
Einen letzten Versuch, das Landbeschaffungsgesetz in das Raumordnungs-
gesetz einzubauen, will die SPD noch unternehmen. Daß ihr dabei in letzter
Minute noch ein überraschender Erfolg beschieden wird, glaubt sie selber
nicht: Die Hast, die überstürzte Eile, mit der Konrad Adenauer seine Divi-
sionen aufgestellt sehen möchte, ist zu groß.
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