Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft (IPA) – Unterrichtsmaterialien - page 61

4.6.IV
Plenarprotokoll 19.04.1956, 2. Deutscher Bundestag: Debatte über die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur friedlichen Verwendung der
Kernenergie
„Dr.-Ing. Drechsel (FDP), Antragsteller:
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Bei der Vorlage eines Gesetz-
entwurfs zur friedlichen Verwendung der Kernenergie haben wir von zwei
Tatsachen auszugehen. Einmal ist der Bundesrepublik durch den Abschluß
der Pariser Verträge Anfang Mai 1955 auch auf diesem Gebiet die Souve-
ränität gegeben worden. Zum andern hat die Konferenz in Genf im August
1955 der Weltöffentlichkeit und uns die Bedeutung dieser neuen Energie-
quelle, den ganzen Entwicklungsstand der maßgebenden Staaten, aber
auch die damit verbundenen Gefahren offen demonstriert.
Es ist leider festzustellen, daß von seiten der Bundesregierung nach mehr
als einjähriger Vorbereitungszeit keine Vorlage zur Ablösung der alliierten
Gesetzgebung gebracht wurde und auch kaum Maßnahmen ergriffen wur-
den, um eine gewisse Ausrichtung für die deutschen Notwendigkeiten zu
geben. Damit fehlt jede Grundlage für eine langfristige Arbeit und Planung
von Wissenschaft und Wirtschaft im staatlichen und zwischenstaatlichen
Raum.
Die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft griff schon im Frühjahr ver-
gangenen Jahres diese Dinge auf, und zahlreiche Mitglieder sämtlicher
Fraktionen dieses Hauses brachten nach der Genfer Atomkonferenz eine
Große Anfrage über den geplanten Reaktorbau in Karlsruhe und einen An-
trag ein, in welchem die Bundesregierung gebeten wird, bestimmte Maß-
nahmen durchzuführen, um die friedliche Nutzung der Kernenergie rasch
in die Wege zu leiten. In diesem Antrag sind bereits viele Gedanken enthal-
ten, die in den vorliegenden Gesetzentwurf — Drucksache 2142 — aufge-
nommen sind und die im September und Oktober 1955 eine weitgehende
Zustimmung bei
Mitgliedern dieses Hohen Hauses gefunden haben. Die In-
terparlamentarische Arbeitsgemeinschaft bemühte sich dann, einen Ge-
setzentwurf zu formulieren,
was auch unter Hinzuziehung und einer nicht
genug anzuerkennenden tatkräftigen Mitarbeit hervorragender Sachver-
ständiger bis Oktober vorigen Jahres weitgehend gelungen war. Ich möchte
ausdrücklich erklären, daß der nunmehr vorliegende Entwurf der Freien De-
mokratischen Partei auf diesen Vorarbeiten aufbaut,
wir also nicht den Ehr-
geiz haben, für unsere Vorschläge in allen Einzelheiten das Prioritätsrecht
in Anspruch nehmen zu wollen.
Inzwischen war das Bundeswirtschaftsministerium wohl zum siebten oder
achten Entwurf eines Kernenergiegesetzes gekommen, und im Oktober
1955 wurde das Bundesministerium für Atomfragen gebildet. Am 25. Ok-
tober 1955 erklärte Herr Bundesminister Strauß, daß sein Atomausschuß
etwa am 15. November stehen und dann der Entwurf eines Kernenergiege-
setzes noch im Dezember vergangenen Jahres das Bundeskabinett pas-
siert haben würde. Auf seine Bitte sahen die beteiligten Abgeordneten
dieses Hauses — ich betone nochmals: Abgeordnete aller Fraktionen —
davon ab, das vorbereitete Initiativgesetz einzureichen. Aber erst am 26.
Januar dieses Jahres trat diese Atomkommission zur konstituierenden Sit-
zung zusammen, also mit einer Verspätung von etwa zwei
Monaten. Eine
weitere Ankündigung von Herrn Minister Strauß, daß nunmehr der Gesetz-
1...,51,52,53,54,55,56,57,58,59,60 62,63,64,65,66,67,68,69,70,71,...80
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